In manchen Gemeinden ist die Evangelische Messe lang geübte Praxis, in anderen bestehen eher Vorbehalte oder es gibt gar eine Scheu gegenüber dieser Gottesdienstform. Daher hier einige Information zum besseren Verständnis: Bei der Evangelische Messe handelt es sich um die dritte Grundform für den Gottesdienst in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (Agende von 2004). In anderen Landeskirchen ist sie die Grundform I entsprechend dem Evangelischen Gottesdienstbuch (überarbeitete Fassung von 2020).
Eine evangelische Messe schließt grundsätzlich die Feier des Abendmahls ein, ist liturgisch reicher entfaltet (auch mit festen Stücken) als der hier zumeist übliche Predigt-Gottesdienst und geht zurück auf Formen, die sich in ökumenischer Vielfalt seit der Alten Kirche entwickelt haben. Angeknüpft an die lutherische Tradition wird dabei das Abendmahl durchaus im allgemein-evangelischen Sinn verstanden und zur Teilnahme an der Kommunion sind alle Getauften (unabhängig von ihrer Konfessionszugehörigkeit) willkommen.
Charakteristisch für die Feier der Messe – wenngleich dieser Name nicht überall gebräuchlich ist – sind einerseits im Ablauf ein „geistliche Weg“, der von der Sammlung über die Anrufung zur Verkündigung und weiter zur Annahme (Bekenntnis), Abendmahl und Sendung führt, andererseits die festen, wiederkehrenden Gesänge, die den Gottesdienst gliedern und deren Texte sehr elementar, aber in Variation ein großes Thema aufgreifen: „Eleison“ im bittenden Kyrie, „Miserere“ im lobenden Gloria, „Hosianna“ im anbetenden Sanctus, „Erbarme dich“ im zuversichtlichen Agnus Dei, immer wird in dem Vertrauen gesungen: „Du, Gott, hast dein Herz bei uns Armen“ (bist b-arm-herzig). Es geht stets um die Grundaussage des christlichen Glaubens, (mit dem Heidelberger Katechismus ausgedrückt) um des Menschen „Elend“ und seine Erlösung durch Gott, ist gleichsam eine liturgische Form des Rechtfertigungsglaubens.
An vielen Orten in Deutschland finden sich evangelische Gottesdienste in ähnlich liturgisch reicher Form (ggf. auch über youtube.com). Einige solcher Gemeinden sind in der untenstehenden Link-Liste aufgeführt.
Kyrie - Das Kyrie ist ein bittender Ruf an Christus um sein Erbarmen; er ist schon im Neuen Testament (Lukas 18,38) belegt. Ganz verschieden kann dieser Ruf klingen und entfaltet werden: als verzweifelte Klage über menschliches Leid, als Ausdruck der eigenen Entfremdung und Ferne von Gott, als vertrauensvolle Anrufung um Gottes befreiende Hilfe, als Huldigung und Lob seiner Macht, die jegliche menschliche Macht begrenzt. Das kann in unterschiedlich geprägten Zeiten des Kirchenjahres besonders deutlich werden.
Gloria - Der Lobgesang des Gloria gibt Gott die Ehre, die ihm allein zukommt. Es zeugt von Dankbarkeit, Freude und Hoffnung. Mit den Worten der Verkündigung des Friedens, die die Engel bei der Geburt Christi gesungen haben, (Lukas 2,14) nimmt es verdichtet die Botschaft des Evangeliums auf. Wegen seiner Festlichkeit wird es in Bußzeiten nicht angestimmt.
Credo - Das Glaubensbekenntnis ist Zeugnis und Lob in einem und drückt die Zustimmung zu dem aus, was von Gott her als Frohe Botschaft verkündet wird. Als menschliches Ja zu dem Ja, das Gott dem Einzelnen zugesagt hat, erinnert es an die Taufe, durch die Christinnen und Christen in die weltweite Gemeinschaft des Glaubens aufgenommen sind. An entscheidenden Punkten der Geschichte haben Väter und Mütter im Glauben das ihnen Wesentliche zusammengefasst. Ihr Bekenntnis enthält mehr, als Einzelne im Augenblick nachvollziehen können. Das Apostolische Glaubensbekenntnis und das Glaubensbekenntnis von Nicäa-Konstantinopel verbinden die gottesdienstliche Gemeinde mit der Alten Kirche und den Schwesterkirchen der Gegenwart.
Sanctus - Das Dreimalheilig (Sanctus) ist seiner Herkunft nach Gemeindeakklamation zum Eucharistiegebet. Indem die Gemeinde Gott als den Heiligen anbetet (Jesaja 6,3), ihn als den Schöpfer, Erlöser und Vollender des Lebens bekennt, stimmt sie in den Lobpreis aller Glaubenden und Engel ein, der Himmel und Erde, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbindet (Offenbarung 4,8) und macht sich mit dem Hosianna (Matthäus 21,9) zuversichtlich die Heilrufe der Elendenund Geringen zu eigen, weil Christus im Namen Gottes gekommen ist (Lukas 19,38).
AgnusDei - Das Agnus Dei ist ursprünglich ein Gemeindegesang zum Brotbrechen und zur Eröffnung der Austeilung des Abendmahls. Diese Anrufung Christi als Lamm Gottes (Johannes 1,36) besingt ihn als den, der durch seine Hingabe Versöhnung gestiftet und den Grund gelegt hat für die Gemeinschaft der im Gottesdienst Versammelten. Seinetwegen vertrauen Christen auf das Erbarmen Gottes und sind bereit, sich auf seinen verheißenen Frieden einzulassen. Christus trägt nicht nur Einzelne, sondern die Welt in ihrer ganzen Gebrochenheit.
Historische Texte in einer frühen Evangelischen Messe.
Erläuterungen aus dem Württembergischen Gottesdienstbuch I (2004)
Christus im Leiden – Herr, erbarme Dich!
Menschwerdung – Ehre sei Gott in der Höhe!
Leonhard – Zeuge des Glaubens
Engel – Bote des Heiligen
Johannes: Siehe, das ist Gottes Lamm
Erhalten gebliebene Schlusssteine aus der im Krieg zerstörten Leonhardskirche
Die inhaltliche Gestaltung der Gottesdienste folgt dem Lauf des Kirchenjahres. Es meint den eigenen Rhythmus, nach dem in der christlichen Gemeinde die Wochen und Feste im Laufe eines Jahres gestaltet werden. „Das Kirchenjahr mit seiner immer erneuten Vergegenwärtigung und Darstellung des Lebens Christi bis zur Ausgießung des Heiligen Geistes ist das größte Kunstwerk der Menschen; und Gott hat sich dazu bekannt und gewährt es Jahr für Jahr... schenkt stets von neuem und stets in ganzer Fülle sein Wort... in immer neuem Licht..." (Jochen Klepper) Die zweite Hälfte des Kirchenjahres - ohne große Feste - fragt stärker nach dem konkreten Leben in Kirche und Gemeinde. In seinen Grundzügen geht das Kirchenjahr auf die Alte Kirche zurück, so dass vieles in den verschiedenen Konfessionen in Ost und West noch gemeinsam ist. Auch steht das Kirchenjahr nicht im Gegensatz zum Naturjahr oder dem bürgerlichen Kalender. Doch hat es andere Schwerpunkte, indem es vom üblichen Zeiterleben abhebt, es überbietet oder umformt.
Mit dem Kirchenjahr sind wechselnde Farben verbunden, erkennbar an den Paramenten (an Altar und Kanzel, als Stola), die jeweils einen typischen „Ton" se.1tzen. Weiß als Farbe des Lichts ist die Christusfarbe, die zu Weihnachten und Epiphanias sowie zur Osterzeit gehört. Demgegenüber erinnert das Schwarz als Verneinung jeder Farbe zu Karfreitag und Karsamstag an den Tod Jesu. Mit dem Violett als Bußfarbe wird im Advent und der Passionszeit jeweils ein hohes Fest angekündigt und vorbereitet. Grün lässt - in den Wochen nach Trinitatis - als ruhige Farbe an Wachsen und Gedeihen, an Hoffnung und stetigen Segen denken. Und Rot erinnert an feurige Flammen wie zu Pfingsten , an „Liebesglut" und fordert Aufmerksamkeit für das Wirken des Heiligen Geistes.
heißt Ankunft und auch Zukunft. Im Altertum bezeichnete dieser Ausdruck den Besuch eines neuen Herrschers in seiner Stadt. Für Christen sind es die vier Wochen am Anfang des Kirchenjahres, die auf das Weihnachtsfest vorbereiten. Jeden Sonntag wird eine weitere Kerze am Adventskranz entzündet. Neben der Erinnerung an das erste Kommen Jesu wie einst beim Einzug in Jerusalem (1. Advent) steht der Ausblick auf seine Wiederkunft am Ende der Zeiten (2. Advent) Zwei biblische Gestalten zeigen zudem die Spannung, die zur Adventszeit gehört: Der herbe Bußprediger Johannes der Täufer, der den Weg des Messias bereiten soll, (3. Advent) und Maria, die Mutter Jesu, der die Geburt des Retters verkündigt und die so zur Frau „in guter Hoffnung" wird (4. Advent). In vielen Gemeinden und darüber hinaus wird bereits vorweihnachtlich gefeiert, während die Geschäftigkeit der Festvorbereitungen einer Einkehr und Besinnung eher hinderlich sein mag. Das Violett als liturgische (Buß-)Farbe setzt für diese Zeit durchaus auch einen fragenden Ton: „Wie steht es mit den Erwartungen für das eigene Leben, für Familie und Freundschaft, für das Miteinander hierzulande und unter den Völkern, für den Lauf der Welt?" Zur Bitte „O Heiland, reiß die Himmel auf" tritt die Zusage: „Freut euch! Der Herr ist nahe." (Philipper 4).
umfasste ursprünglich die zwölf „geweihten" Nächte, die mit der Nacht zum 25. Dezember beginnen, in der die Geburt Jesu gefeiert wird, und die bis zum 6. Januar dauern, Epiphanias (Erscheinung) genannt. Weil sich neben „Bethlehem" und „zur Zeit des Kaisers Augustus" nichts Genaueres über ein Geburtsdatum Jesu findet, hat der Termin des Christfestes symbolische Bedeutung. In der dunkelsten Zeit des Jahres, während in Rom die „Unbesiegbare Sonne" als Gott verehrt wurde und Germanen das wilde Treiben finsterer Mächte fürchteten, bekennen Christen mit diesem Fest: In Jesus ist das Licht der Welt erschienen. Als Mensch, der als Kind in der Krippe zu finden ist, so ist Gott zur Welt gekommen. Dieses „menschliche" Maß hat dem Christfest eine besondere Akzeptanz verliehen, was die Bekanntheit der Geburtsgeschichte (Lukas 2) und viele volkstümliche Weihnachtslieder zeigen. Der Brauch des Schenkens zu diesem großen Familienfest kann auf die Zuwendung Gottes verweisen: „Also hat Gott die Welt geliebt... (Johannes 3) Davon soll auch menschliches Miteinander bestimmt sein. Epiphanias am 6. Januar mit den „Weisen aus dem Morgenland" und die folgenden Wochen zeigen anschaulich,wie durch Jesu Erscheinen, seine Verkündigung und sein Handeln Lebensverhältnisse verwandelt werden (Geringssein in Größe, Mangel in Fülle, Fremdheit in Nähe, Angst in Vertrauen, Verklärung).
ist die Bereitschaft, Leiden auf sich zu nehmen und ist ein unübersehbares Kennzeichen des Weges Jesu von Nazareth. Er setzt sich nicht nur der irdischen Begrenztheit, den Wirkungen von Schuld und Versagen, der Vergänglichkeit und dem Tod aus, sondern er duldet das schmachvolle und quälende Sterben am Kreuz. Dass dies in Einklang mit dem Willen Gottes geschieht, ist für viele andere Religionen, Weltanschauungen und Philosophien nicht nur unverständlich, sondern anstößig. Christen erkennen aber gerade darin die tiefste Zuwendung Gottes zur Welt, seine Versöhnung, seine Überwindung von Sünde und Tod. Mit dem Aschermittwoch beginnen vierzig Tage, in denen Christen liturgisch den Weg Jesu hinauf nach Jerusalem (Estomihi) begleiten und sich dabei der Bedrohung (Invokavit) und dem Ausgeliefertsein (Reminiszere), dem Ruf zur Nachfolge (Okuli) und dem Beispiel der Hingabe Jesu (Lätare, Judika) stellen. Wenngleich es auch Durchgang (Passa) zu neuem Leben ist, bleibt die Karwoche und der Karfreitag zugleich Höhe- und Tiefpunkt des Weges Jesu. Große Kirchenmusik wie die Passionen J.S. Bachs suchen die Botschaft vom Kreuz zu vertiefen. Als Zeit des Fastens, bei dem es um Einladung zur Umkehr, Selbstprüfung und Verzicht geht, ist diese Zeit von evangelischen Christen neu entdeckt worden. Das liturgische Violett als Bußfarbe unterstreicht diese Bedeutung.
ist in den germanischen Sprachen der Name für die Feier der Auferstehung Christi (ableitet von der „Morgenröte"). Hier ist die innere Mitte des Kirchenjahres und der Ausgangs- und Bezugspunkt des christlichen Glaubens. 40 Tage (bis Christi Himmelfahrt) bzw. 50 Tage (bis Pfingsten) dauert diese Festzeit. Was schon den jährlich wechselnden Termin (Frühlingsbeginn - Vollmond - Sonntag) bestimmt, wird in der Osternacht deutlich: Es geht um Erneuerung der Schöpfung, um Befreiung wie einst beim Auszug aus Ägypten (Passa), um Überwindung des Todes durch die Auferweckung des Gekreuzigten. Auch der Sonntag, der Ruhe- und Feiertag der Christen, soll allwöchentlich daran erinnern. Neues Leben ist mit der Auferstehung eröffnet worden, der Grund zu erneuerter Freude (Jubilate), zu erneuertem Singen (Kantate),zu erneuertem Beten (Rogate). Mit der Himmelfahrt Christi wird deutlich, dass seine Gegenwart nun nicht mehr der Beschränkung nach Raum und Zeit unterworfen ist, sondern er bei uns ist „alle Tage bis an die Enden der Erde" (Matthäus 28). Das Weiß als leuchtende Christusfarbe hebt den festlichen Charakter dieser Zeit hervor. Die Osterkerze brennt an diesen Tagen, immer wenn die Kirche geöffnet ist. Nach Pfingsten wird sie jeweils dann entzündet, wenn eine Taufe gefeiert wird, um damit deren Zusammenhang mit Tod und Auferstehung Christi (Römer 6) anzudeuten.
hat seinen Namen vom „fünfzigsten“ Tag nach Ostern (griechisch: pentekoste). Es ist sowohl Abschluss der Osterzeit, als auch ein eigenständiges Fest, das an die Sendung des Geistes auf die erste Gemeinde in Jerusalem erinnert. Das Rot als liturgische Farbe bringt das Feurige des Heiligen Geistes (Apostelgeschichte 2), seine Wirkung als Liebe (Römer 5) wie auch die Befähigung zur Lebenshingabe zur Geltung. Pfingsten kann als „Geburtstag der Kirche“ begriffen und durchaus einer „Konfirmation“: verglichen werden. Es markiert den Übergang, dass Christen seitdem zu einer eigenständigen, selbstverantwortlichen Wahrnehmung und Bezeugung des Glaubens berufen sind. Sie werden dazu vom Heiligen Geist „mit seinen Gaben erleuchtet, geheiligt und erhalten“ und „mit der ganzen Christenheit auf Erden gesammelt“ (Martin Luther). Um diesen von Jesus verheißenen Tröster, der an seine Verkündigung „erinnern“ (Johannes 14) und „in alle Wahrheit leiten “ wird (Johannes 16) , bittet die Kirche immer neu:, zumal er kein fester Besitz ist, sondern er zum Glauben wirkt, „ wo und wann er will“ (Augsburgisches Bekenntnis):„Veni Creator Spiritus - Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist, besuch das Herz der Menschen dein, mit Gnaden sie füll; denn du weißt, dass sie dein Geschöpfe sein“. (nach Hrabanus Maurus)
sucht das christliche Nachdenken über die Erfahrung Gottes mit einem Begriff zu fassen: Dreieinigkeit (auch Dreifaltigkeit) - Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Nach dem Trinitatisfest folgen viele „grüne" Wochen - es können bis zu 24 sein -, die miteinander entfalten, was es heißt, als Gemeinde Jesu durch die Zeit - von Ostern und Pfingsten hin zur ewigen Vollendung - auf dem Weg zu sein. Es geht darum, in Verantwortung vor dem Schöpfer, in der Nachfolge Jesu von Nazareth und im Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geist ein Leben aus dem Glauben zu gestalten. Einzelne Sonntage thematisieren, wie Christen sich verstehen und verhalten: gegründet auf das Zeugnis der Apostel und Propheten, selbst zu Christus eingeladen und andere einladend, im Vertrauen auf das Wort von der Versöhnung, durchaus weiter als eine Gemeinde der Sünder, vom rettenden Ruf zur Nachfolge getroffen, von der Zusage in der Taufe herkommend, am Tisch des Herrnimmer wieder zum Abendmahl versammelt, durch die Gaben des Geistes beschenkt und gefordert... Der 10. Sonntag nach Trinitatis ist besonders dem Verhältnis von Juden und Christen gewidmet Die biblischen Texte an anderen Sonntagen zeigen u.a. das Beispiel von Pharisäer und Zöllner, das Vorbild des barmherzigen Samariters oder sie fragen nach den Ordnungen Gottes oder dem Leben als Kirche in der Welt.
sind nicht so häufig begangene Gedenktage, die jeweils - um etwa ein halbes Jahr versetzt - die beiden großen Feste des Kirchenjahres in Erinnerung rufen, deren liturgisches Weiß auch hier aufscheint: Am 24. Juni auf der Höhe des Jahres weist die Geburt Johannes des Täufers über sich hinaus auf Jesus, den kommenden Messias. Johannes kann sich ihm gegenüber in seiner Bedeutung zurücknehmen: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ (Johannes 3) Am 29. September im beginnenden stürmischen Herbst gibt es mit dem Fest „Michael und alle Engel“ einen Rückbezug auf Ostern, den Sieg, der mit der Auferstehung Christi errrungen ist. Die Überwindung letzter Bedrohung durch Gott vergewissert dem Leben der Menschen letzte Bewahrung durch Gott Engel sind in der biblischen Tradition Boten Gottes, die seinen guten Willen vergegenwärtigen. Das mag kämpferisch-helfend sein wie mit Michael (Offenbarung 12 ) oder verkündigend-tröstlich wie mit Gabriel (Lukas 1) oder heilsam, begleitend und schützend wie mit Rafael (Tobias 12). Als „dienstbare Geister“ (Hebräer 1) stehen sie für die persönliche Nähe Gottes ein: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ (Dietrich Bonhoeffer)
wird nicht nur auf dem Lande sondern auch in der Stadt gefeiert, denn es geht um mehr als das Ernten auf Feldern, in Weinbergen und Hausgärten. Auch wenn ein besonderer Altar zumeist mit geernteten Früchten geschmückt wird, geht es bei diesem Fest grundlegend um den Zusammenhang von menschlicher Arbeit und Anstrengung und dem empfangenen Segen, über den nur Gott verfügt: „Es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott" (Matthias Claudius) Das wird im Blick auf die Nahrung, die wir brauchen, und die Natur, von der wir in hohem Maße abhängig sind, besonders deutlich. Dass die zur Kirche gebrachten Gaben anschließend denen weitergegeben werden, die Unterstützung nötig haben, zeigt den inneren Zusammenhang von Dankbarkeit und Bereitschaft zum Teilen als praktizierter Nächstenliebe. „Gutes zu tun und mit anderen zu teilen, vergesst nicht, denn solche Opfer gefallen Gott." (Hebräer 13) In den letzten Jahren ist der Wunsch nach einem eigenem „Tag der Schöpfung" laut geworden, nicht nur, um den Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung zu unterstreichen, sondern um eine Frömmigkeit zu entwickeln, in der die staunende Dankbarkeit über die Wunder der Schöpfung deutlicher betont wird. „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter." (Psalm 104)
ist nach dem Selbstverständnis der evangelische Kirche eine ständige Aufgabe für sie selbst. Dazu soll beispielhaft und hervorgehoben an den Thesenanschlag Martin Luthers am 31. Oktober 1517 in der Schlosskirche zu Wittenberg erinnert werden. Mit der Betonung von Gnade und Glaube und der Berufung auf das „Evangelium" in der Bibel als Quelle und Maßstab der Verkündigung wird das eigene „evangelische" Profil gezeigt, ohne die ökumenische Verpflichtung zu vergessen und den Schmerz über die Trennungen der Christenheit zu verdrängen. Noch weitere Gedenktage sind der Besinnung auf die „eine, heilige,allgemeine und apostolische Kirche" (Nicänisches Glaubensbekenntnis) gewidmet, was es also heißt als Christ zur „Gemeinschaft der Heiligen" (Apostolisches Glaubensbekenntnis) zu gehören und von einer „Wolke von Zeugen" des Glaubens (Hebräer 12) umgeben zu sein. So werden da und dort noch einzelne Aposteltage wie Petrus und Paulus am 29. Juni begangen oder Märtyrertage wie Stephanus am 26. Dezember, aber auch an Glaubenszeugen der älteren und neueren Geschichte könnte gedacht werden. Ebenso erinnert das Gedenken der Kirchweihe (im Oktober oder nach örtlicher Regelung) Christen an ihren Auftrag: „Als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Haus und zur heiligen Priesterschaft." (1. Petrus 2) Das liturgische Rot als Farbe des Heiligen Geistes verbindet alle diese Feste der Kirche.
in die Zeit leuchte hell hinein“, so singt ein Lied am Ende des Kirchenjahres. Die Konfrontation mit einem Ende lässt Christen in zweifache Richtung schauen: hoffnungsvoll über das Irdische hinaus auf eine Vollendung, wo „weder Tod noch Leid noch Geschrei noch Schmerz mehr sein wird“ (Offenbarung 21), zugleich nüchtern prüfend zurück auf dies begrenzte Leben mit der Frage Jesu: „Was habt ihr getan?“ (Matthäus 25) Der Friedenssonntag und der Buß- und Bettag stellen sich nicht nur ethischen Fragen zur persönlichen Lebensgestaltung sondern auch dem Auftrag zur Weltverantwortung des Glaubens. Den Erfahrungen des Versagens, Scheiterns und der Schuld begegnet die Zusage von Vergebung, die Neuanfänge ermöglicht. Am Letzten Sonntag im Kirchenjahr werden oft die Namen der Verstorbenen im Gottesdienst genannt. Die Hoffnung des ewigen Lebens eröffnet einen Horizont, vor dem Christen Abschied nehmen können und der dem eigenen Leben selbst angesichts dunkler Seiten Zuversicht und Ermutigung bietet. Entsprechend steht am Ende des Stammteils unseres Gesangbuches die Vision: „Gloria sei dir gesungen / mit Menschen- und mit Engelzungen,/ mit Harfen und mit Zimbeln schön. / Von zwölf Perlen sind die Tore / an deiner Stadt,wir stehn im Chore / der Engel hoch um deinen Thron. / Kein Aug hat je gespürt, / kein Ohr hat mehr gehört / solche Freude. / Des jauchzen wir / und singen dir, / das Halleluja für und für.“ (Philipp Nicolai)
Wer in einen Gottesdienst geht, erwartet – zumal als Protestant – zu Recht eine gute Predigt. Was ist aber mit dem „Übrigen“, das oft zusammenfassend als „Liturgie“ bezeichnet und gern der Verkündigung gegenüber gestellt wird? Wo nicht länger als zwanzig Minuten gepredigt werden soll, sind da die übrigen zwei Drittel einer Stunde nur schmückende Umrahmung? In der Ökumene finden sich die unterschiedlichsten Ausprägungen – von „schlanker“ Liturgie bis zu „üppiger“ Fülle, wortbetont oder stärker zeichenhaft, eher traditionsgeprägt oder neuentwickelt und unter Evangelischen gibt’s zudem keine einheitliche Liturgie, da sich hier die Gottesdienste vor allem aus zwei Traditionen entwickelt haben: der Messe, deren Anfänge bis in die Alte Kirche zurückreichen, und die grundsätzlich das Abendmahl „einschließt“ und eine entfaltete Liturgie kennt, und dem Predigtgottesdienst, der im späten Mittelalter in bewusster Konzentration auf die Predigt entstanden ist. Dennoch wird – wie das Evangelische Gottesdienstbuch von 1999/2000[1] zeigt – eine gemeinsame Grundstruktur erkennbar, bei der wichtig ist, dass „… ein evangelischer Gottesdienst … vom Evangelium Jesus Christi (lebt), von der befreienden Zusage, das Gott durch Jesus Christus die Welt mit sich versöhnt und heil gemacht hat“.[2]
Ob konkret gefeierte Gottesdienste dem immer gerecht werden, bleibt eine Frage, zumal man berücksichtigen muss, dass es auch manche Vorbehalte gegenüber der Liturgie gibt. Etwa brachte der Vorsitzende eines Fußball-Clubs im Blick auf einen geplanten Festgottesdienst als Einwand gegen ein „ Zuviel“ vor: „Die Liturgie macht unsern Jungs Angst.“ Andererseits zeigen Studien, dass gerade seltene Gottesdienstbesucher traditionelle Liturgie schätzen: „Wenn schon Kirche, dann soll's auch wirklich nach Kirche schmecken“. Gegen die Behauptung: „Die (starre) Liturgie ist schuld an leeren Kirchen“ ließe sich anführen, dass der Kirchenbesuch bei Katholiken, die „mehr“ Liturgie haben, immer noch stärker ist als bei den Protestanten mit „weniger“ Liturgie. Grundsätzlich dürfte man von Gottesdiensten dann eher persönlichen Gewinn haben, wenn man weiß, wie Liturgie „funktioniert“ oder was sie „beabsichtigt“ – nicht anders als beim Fußballspiel, wenn man etwas von dessen Regeln kennt.
Bereits im Namen Gottes-Dienst steckt eine Frage: Wer dient wem? Und die evangelische Antwort lautet: „Gott dient dem Menschen." Lässt man sich darauf ein, darf man sich gleich doppelt als Empfangenden erfahren: Gott dient uns nicht nur dadurch, dass er „zu uns redet durch sein heiliges Wort" (Luther)[3], sondern auch, indem Gott uns mit dem Gottesdienst Raum und Gelegenheit bietet, uns vor ihm auszusprechen, und er auf uns hört, wenn „wir wiederum ihm antworten in Gebet und Lobgesang" (Luther), sei dies in Lob oder Klage, im Bekenntnis oder Eingeständnis von Schuld, in Bitte oder Dank. Gottesdienst gleicht einem Wechselgespräch, wie auch das 2. Vaticanum betont: "... in der Liturgie spricht Gott zu seinem Volk; in ihr verkündet Christus noch immer die Frohe Botschaft. Das Volk aber antwortet mit Gesang und Gebet."[4]
Während eine Predigt durchaus gewinnen kann, wenn sie individuell „nachgelesen" wird, ist die Liturgie entscheidend auf die gemeinschaftliche Feier angelegt und kann weder auf das Erleben in der gottesdienstlichen Situation noch auf „die Gemeinde als erste und wichtigste Liturgin ... verzichten"[5]. Dazu bietet die Liturgie einen verlässlichen Rahmen und stellt überkommene Elemente zur Verfügung, in dem und mit denen die Gemeinde ihre verschiedenen Rollen im Gottesdienst wahrnehmen kann, sei es rezeptiv (aufnehmend) im Hören von Predigt und Lesungen, im Vernehmen der Zusagen und des Segens, im Empfang der Sakramente, sei es expressivdurch Lieder, Bekenntnisse und Gebete, die sie selbst oder durch beauftragte Liturginnen und Liturgen vorträgt. Wichtig bleibt das gemeinschaftliche Element , etwa im Singen, im Vollzug und der Konzentration auf den gemeinsamen Ritus, im Wir-Ton vieler Gebete, im „liebe Gemeinde" der Predigt, im Abendmahl als „Kommunion", in der gegenseitigen Friedensgeste, im ursprünglichen „Du" des aaronitischen Segens, das nicht das Individuum anspricht, sondern die ganze Gemeinde.
Trotz der Wichtigkeit der gemeinsamen Feier, soll der/die Einzelne in ihr nicht untergehen. Gerade in ihrer Gebundenheit ermöglicht die Liturgie den Versammelten zugleich viel Freiheit. Schon wenn jemand -- warum auch immer -- nicht äußerst aufmerksam oder konzentriert sein kann, lässt sich der Gottesdienst doch mitfeiern, indem man sich von der -- vertrauten -- Liturgie tragen und soweit hinein nehmen lassen kann, wie man gerade (ver)mag. Zudem ist Liturgie in ihrem Ablauf und ihren Grundelementen „international" und überkonfessionell, was zumindest für Lutheraner, Anglikaner, Alt- und römische Katholiken sowie manche Reformierte gilt. Und manches uns Vertrautes -- wie der Dialog „Sursum corda" (Erhebet eure Herzen!) vor dem Abendmahl -- begegnet einem sogar in koptischen, armenischen, syrischen oder alt-indischen Liturgien. Ungeachtet theologischer Differenzen und unterschiedlicher Nationalsprachen kann man sich in den Gottesdiensten der jeweils Anderen ein Stück weit zu Hause fühlen, so dass Ökumene als weltumspannende Gemeinschaft erfahrbar wird. Hier sind es vor allem die feststehenden Stücke (sog. Ordinarium), die verbinden. Auffällig ist, dass diese Texte sehr elementar, aber in Variation immer wieder ein großes Thema aufgreifen: „Eleison" im bittenden Kyrie, „Miserere" im lobenden Gloria, „Hosianna" im anbetenden Sanctus, „Erbarme dich" im zuversichtlichen Agnus Dei, immer wird in dem Vertrauen gesungen: „Du, Gott, hast dein Herz bei uns Armen" (bist b-arm-herzig). Mit dem Heidelberger Katechismus ließe sich sagen, dass es hier stets „um des Menschen Elend" und „seine Erlösung" durch Gott geht; anders ausgedrückt: eine liturgische Form des Rechtfertigungsglaubens. Obwohl die Texte gleich bleiben, wird ihnen schon durch die musikalische Fassung ein je eigener Klang beigegeben, sei es nun einstimmig oder vielstimmig, von der ganzen Gemeinde oder einem Chor oder im Wechsel gesungen, ob gregorianisch, mit Melodien aus der Reformationszeit, durch Kompositionen von Bach oder Mozart oder Distler oder Arvo Pärt oder John Rutter oder ... oder .... Für die einzelnen Teilnehmer des Gottesdienstes kann gerade das „Lapidare" in den Texten dieser feststehenden Stücke zur Aufforderung und zur Chance einer persönlichen Interpretation werden, um sie -- vielleicht meditativ -- zu verknüpfen mit der je eigenen Lebenssituation, die schon von der der Nachbarin in der Bank sehr verschieden sein mag.
In der konkreten Feier treten neben das mehr oder weniger „Feste" der Liturgie dann jene Texte, die das Eigene eines Tages im Lauf des Kirchenjahres zur Geltung bringen (sog. Proprium). Nochmals erweitert durch Aktuelles, wie auch durch die frömmigkeitsmäßigen und millieubedingten Vorlieben (Musikstile etc.), kann der Gottesdienst zu einem lebendigen Geschehen werden. Vom Kirchenjahr meinte Jochen Klepper: „ Das Kirchenjahr mit seiner immer erneuerten Vergegenwärtigung und Darstellung des Lebens Christi bis zur Ausgießung des Heiligen Geistes ist das größte Kunstwerk des Menschen, und Gott hat sich dazu bekannt und gewährt es Jahr für Jahr ... schenkt stets von neuem und stets in ganzer Fülle sein Wort zu Advent, Weihnacht, Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten, schenkt es in immer neuem Licht, als begegnete es einem zu ersten Male".[6] Wenn so gleichsam der Weg Jesu von seiner Menschwerdung über sein Wirken und seine Verkündigung hin zu Leiden, Kreuz und Auferstehung „nachgegangen" wird, so wird in der anderen Hälfte des Kirchenjahres dies noch mal „rekapituliert" im Blick darauf, was der Weg Jesu für die „Nachfolge" der christlichen Kirche bedeutet, die von Pfingsten herkommt und auf die Ewigkeit zugeht.
In der Liturgie soll der ganze Mensch einbezogen sein. „Wir hoffen, dass der Weg, evangelischen Gottesdienst zum Lobe Gottes mit allen Sinnen zu feiern und ihn nicht intellektuell zu verengen, weitergegangen wird. Wir freuen uns am Reichtum evangelischer Spiritualität,"[7] so hat die letzte Tagung der EKD-Synode formuliert. Und dazu lässt sich neben vertieftem Hören sicher noch verstärkt das „Schmecken und Sehen" (Ps 34,9) entdecken wie auch andere leibliche Erfahrung, die sich von Farbe, Bewegung, (auch Duft?) berühren zu lässt. „Schönheitund Gnade sind leibliche Schwestern", war in einem Vortrag von Fulbert Steffensky zu hören (also gratia und Grazie dicht beieinander? d. Verf.). Allerdings: Protestanten sind zumeist „Ritualisten in 1. Ableitung" ..., „unsere Schwäche ..., weil uns die katholische religiöse Unmittelbarkeit abgeht, ... unsere Stärke, ... weil der kritische Geist auch der Geist der Neuzeit und Gegenwart ist."[8] Kardinal Walter Kasper kann einen anderen Akzent setzen: Wenn die "Schönheit und Herrlichkeit Gottes in der Feier der Liturgie aufscheint und der Liturgie Glanz verleiht, dann kann vielen Menschen buchstäblich eine neue Welt aufgehen und gleichsam ein Spalt des Fensters in die andere Welt der Transzendenz aufgetan werden; dann leuchtet in der Liturgie in einer sonst für viele eher grauen und bleiernen Wirklichkeit ein Hoffnungsschimmer auf. Von einer solchen Liturgie geht wie von selbst Faszination aus; sie wirkt ganz von selbst einladend und anziehend; sie weckt Staunen, Hoffnung, Freude."[9]
In der Abfolge der einzelnen Phasen der Liturgie mit ihren Elementen, die durchaus geschichtlich entstanden und gewachsen sind, lässt sich ein geistlicher Weg in konsequenten Schritten mitgehen. Man kann dies einen „Lernprozess“[10] nennen, Liturgie aber auch als theologisches Spiel oder in Szene gesetztes Bekenntnis begreifen, wobei solche „Inszenierung des Evangeliums“[11] sehr sorgfältig gestaltet und die der Liturgie innewohnende Dramaturgie beachtet werden sollte. Selbstverständlich steht auch das – wie alles geistliche Geschehen – unter dem „Vorbehalt“, dass es der Heilige Geist ist, der den Glauben wirkt, „wo und wann er will“[12], was menschliches Bemühen nicht überflüssig macht.
Wir sind eingeladen, Gottes Gegenwart zu feiern. Wir unterbrechen den gewohnten Alltag und versammeln uns im Namen des dreieinigen Gottes. Die äußere Versammlung der Gemeinde soll durch innere Sammlung vertieft, der Übergang von alltäglichen Situationen zum gottesdienstlichen Feiern ermöglicht werden. Durch Musik, Begrüßung und gemeinsamen Gesang sollen wir spüren, dass wir im Gottesdienst willkommen sind.
Wir wenden uns Gott zu mit unseren Anliegen. Fragen wie Zuversicht können in einem biblischen Psalm laut werden. Das Eingeständnis von Not und Versagen, verbunden mit der Hoffnung auf Befreiung prägen den Bittruf des Kyrie (Herr erbarme dich). Der große Lobgesang „Ehre sei Gott in der Höhe" wird immer wieder angestimmt, wegen seines festlichen Charakters jedoch in Bußzeiten (Advent und Passion) darauf verzichtet. Ein zusammenfassendes Tagesgebetschließt den Anrufungsteil ab, in dem oft spannungsvolle Gesichtspunkte miteinander in Beziehung gesetzt und zur Sprache gebracht werden: Gott und Mensch, Erfahrungen und Erwartungen, Verheißung und Erfüllung, Sorge und Dank, Einzelne und Gemeinschaft ...
Gottes Wort begegnet uns in der Bibel und ihrer Auslegung. Erfahrungen des Volkes Israel, die Geschichte und Verkündigung Jesu von Nazareth, sein Tod und seine Auferstehung, die Entwicklung seiner Gemeinde und deren theologisches Nachdenken -- darin spricht Gott uns an. Gerade die Verkündigung ist als dialogischer Prozess angelegt, in dem mehrere Texte (Altes Testament, Briefe, Evangelium)miteinander „ins Gespräch" gebracht werden, sich dies fortsetzt in der Predigt zum Dialog der hörenden Gemeinde mit der biblischen Botschaft, und sich in der Aufnahme des Gehörten in Gesängen, Liedernoder Werken der Kunst (z. B. Kantate, Bildbetrachtung, Performance) vertieft.
Das so vernommene Wort Gottes zielt auf unsere menschliche Antwort, die liturgisch in verschiedener Richtung (1 Kor 13,13) entfaltet wird. Was verkündigt wurde, will grundlegend Glauben wecken und ihn stärken, der sich im Bekenntnis (Credo) ausspricht. Verkündigung lässt Hoffnung und Zuversicht entstehen, so dass mit der Fürbitte diese Welt in den Horizont einer guten Erwartung von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung für alle Menschen und die ganze Schöpfung gestellt wird. Sie soll schließlich zu gelebter Liebe ermutigen, indem wir uns selbst zum Dienst mit unseren Gaben und Fähigkeiten einbringen (Opfer/Gabensammlung), durchaus unsrer menschlichen Grenzen und Gebrochenheiten bewusst.
In aller Vorläufigkeit dieser Welt sollen wir bei der Feier des Vermächtnisses Jesu des Heiles Gottes gewiss werden. An seinem Tisch wird uns Versöhnung, Überwindung der Sünde und Gottes verwandelnde Kraft zuteil. Liturgisch werden im Abendmahl gleichsam die (vier) „Aktionen" vergegenwärtigt, wie sie in den Einsetzungswortenüberliefert sind: Wir nehmen mit Brot und Wein (Gaben der Schöpfung und der menschlichen Arbeit) unser alltägliches Leben hinein in die Feier und sagen Dank für Gottes gütiges Wirken seit Anbeginn der Welt, gedenken der Rettung in Christus, bitten um Erfüllung der Verheißungen durch den Heiligen Geist, sehen uns in die weltumspannende Gemeinschaft der Christen gestellt und blicken erwartungsvoll auf das kommende Reich. All das bekräftigen wir mit dem Tischgebet des Vaterunsers. So brechenwir das Brot, sollen wir doch Heil im Gebrochenen empfangen, und uns werden die Gaben Jesu gegeben, damit wir im Frieden versöhnte Gemeinschaft mit Gott und untereinander erfahren: Verbindung durch Christus, persönliche Annahme und Vergebung, Stärkung auf dem Weg, Vorgeschmack der Ewigkeit.
Beschenkt und vergewissert durch Gottes Zuwendung und Herausforderung im vernommenen Wort und empfangenen Sakrament, sehen wir neu unsere alltäglichen Aufgaben. Die Kraft der Zusage Gottes und seines Segens trägt und begleitet uns, damit wir in Verantwortung und Nächstenliebe den empfangenen Frieden in die uns anvertraute Welt hineintragen. Der gefeierte Gottesdienst mit seinen Stationen ist bezogen auf den Gottesdienst im Alltag der Welt, wo Verantwortung im Sinn Jesu geübt, das eigenen Leben mit seinen Freuden und Leiden, seinen Ansprüchen und Versagungen in seiner Nachfolge gewagt wird
Berücksichtigt man die Jahrtausende alte Symbolik, dass es gerade der Sonntag als Auferstehungstag ist, der den regelmäßigen Rhythmus für den christlichen Gottesdienst vorgibt, erinnert man sich der Emmaus-Geschichte (Lukas 24,13-45), deren typische Etappen sich durchaus in den Phasen der Liturgie[13] wiederfinden lassen: Aufbrechen (Sammlung) -- Fragen (Anrufung) -- Hören (Verkündigung) -- Antworten (Bekenntnis) -- Einladen zum Mahl (Abendmahl) -- Aufbrechen (Sendung) -- , dann lässt sich im Gottesdienst -- neben der je aktuellen inhaltlichen Füllung (entsprechend dem Kirchenjahr) -- , eine stets aktualisierte Ostergeschichte erkennen. Inhaltlich an verschiedenen „Themen" und mit einer Fülle biblischer „Texte", aber letztlich im Kern gleichbleibend , vergegenwärtigt der christliche Gottesdienst das, was durch Kreuz und Auferstehung Christi für den Menschen geschehen ist: die dort sichtbar werdende Zuwendung Gottes zur Welt, die Bezeugung der Gnade angesichts von Grundfragen wie Tod, Schuld und Sinnlosigkeit -- als Rechtfertigung des Sünders, als Vergebung -- und um mit Luther zu sprechen „wo Vergebung der Sünde, da ist Leben und Seligkeit". (M. Luther, Katechismus)
Autor:
Reinhard Brandhorst, Pfarrer i. R., Stuttgart, lebt in Stuttgart.
Werke und Aktivitäten:
Neuerarbeitung der Lesung der Heiligen Schrift im Kirchenjahr, 1997,
Mitarbeit am Evangelischen Tagzeitenbuch, 4. völlig neugestaltete Auflage 1998,
korrespondierendes Mitglied in der Arbeitsgruppe Perikopenreform (EKD, UEK, VELKD),
Redakteur der Webseiten www.evangelische-liturgie.de und www.evangelisches-brevier.de
[1] Evangelisches Gottesdienstbuch (Taschenausgabe), Berlin 2000.
[2] Orientierungshilfe „Der Gottesdienst" (EKD), Gütersloh 2009, S. 25.
[3] Martin Luther bei der Einweihung der Schlosskirche in Torgau 1544, sog. „Torgauer Formel".
[4] Sacrosanctum Concilium -- Konstitution über die heilige Liturgie, Nr. 33.
[5] Reformierte Liturgie, Wuppertal 1999, S. 25.
[6] Jochen Klepper, Tagebucheintrag vom 22. Februar 1939.
[7] Kundgebung der 11. Synode der EKD (5. Tagung) 7. November 2012 „Am Anfang war das Wort...".
[8] Michael Meyer-Blanck, Inszenierung des Evangeliums, Göttingen 1997, S. 45.
[9] Walter Kardinal Kasper, Vortrag im Ulmer Münster am 22. August 2007.
[10] Dieter Trautwein, Lernproeß Gottesdienst, Offenbach/Berlin 1972.
[11] Michael Meyer-Blanck, Inszenierung des Evangeliums, Göttingen 1997.
[12] Augsburgisches Bekenntnis, Artikel 5.
[13] Wilhelm Stählin, Predigt „Das Urbild des christlichen Gottesdienstes", 10.4.1950, in: Das Angebot der Freiheit, Bd. I, Stuttgart 1970, S. 264 ff.
Auf folgende Gemeinden, in denen liturgisch reichere Gottesdienste gefeiert werden, (regional geordnet) wird verwiesen:
Ev. Gartenkirche St. Marien Hannover
Ev. Gnadenkirche zum Heiligen Kreuz Hannover
Weitere Seiten mit Entwürfen zu liturgischer Vielfalt: